Oberneder J. (2021): In: Dorninger C., Nekula K., Schnider A. (Hrsg.). Auf dem Weg zu einer offenen, fairen Gesellschaft. S. 208 – 212. Wien: LIT.
Es sei eine „Liebe auf den zweiten Blick“ gewesen, so fasste Claudia Schmied ihre Bemühungen zur Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen bei einer Festveranstaltung im Jahr 2017 zusammen (DerStandard, 2017). Die Pädagogischen Hochschulen hatten zu diesem Zeitpunkt eine vor zehn Jahren in Kraft getretene Transformation der Pädagogischen Akademien und Institute in Pädagogische Hochschulen hinter sich gebracht. Aus den insgesamt 54 Einrichtungen resultierten schließlich 14 Hochschulen.
Viel war also geschehen seit 2007. Der Juniorpartner in der tertiären Bildungslandschaft entwickelte sich zu einem selbstbewussten Player. Man hatte 2012 ein neues Dienstrecht für die Lehrenden eingeführt, die Forschung gestärkt und die Angebote im Bereich der Fortbildung und der Schulentwicklung professionalisiert.
Im Jahr 2013 kam es dann zu einem Gesetzesbeschluss, der zur Etablierung der neuen Lehrer*innenbildung in Österreich führte. Unter dem „Claim“ der Educational Governance waren nunmehr Pädagogische Hochschulen verpflichtet im Bereich der Ausbildung von Sekundarstufenlehrer*innen mit Universitäten zu kooperieren. Eine tiefgreifende neue Dynamik war in der Hochschullandschaft verankert worden: Veränderte Strukturen, veränderte Prozesse und veränderte Entscheidungsgrundlagen mussten berücksichtigt werden. Es entstanden vier regionale Kooperationsverbünde, die in Netzwerken organisiert wurden (Oberneder, 2016).
Pressure of Change
Organisationen sind immer Resultat eines immensen gesellschaftlichen Evolutionsschubes (Fuchs, 2009, S. 54). Pädagogische Hochschulen waren demnach in den letzten Jahren einem enormen „Pressure of Change“ ausgesetzt. Schließlich übernahmen sie zunehmend Verantwortung für die Akademisierung der pädagogischen Professionen durch forschungsgeleitete und anwendungsorientierte Lehre in der Ausbildung, durch wissenschaftsbasierte und bedarfsgerechte Angebote in der Fortbildung und durch professionelle Angebote in der Beratung von Schulen (Reinbacher, 2017). Insgesamt entwickelte sich in den Hochschulen ein eigenständiger Modus Operandi zwischen Wissenschaft und Praxis und der dafür notwendigen Steuerung. Ein eigener Hochschulsektor war also „informell“ entstanden, ohne einer explizit formulierten Vision durch das zuständige politische Ressort. Systemtheoretisch formuliert waren Pädagogische Hochschulen zu diesem Zeitpunkt einem desorientierten Dilemma ausgesetzt: Dieses leitet sich aus dem zeitlichen Gefälle zwischen tatsächlichen Handlungen und strategischer Zielsetzungen ab. Hochschulen mussten zuerst einmal handeln, um sich dann (selbst) beobachten zu können. Diesem „Acting first and thinking later“ liegt ein selbstreferentieller Steuerungsbegriff eines komplexen sozialen Systems zugrunde. Demnach können sich Organisationen wie Hochschulen operativ nur selbst steuern und sind von außen nur unter ganz spezifischen Bedingungen beeinflussbar (prominent: Willke, 2014, Luhmann, 1989). Diese systemtheoretisch skeptische Steuerungsperspektive widerspricht aber diametral der hierarchischen bürokratischen Logik, die sich letztlich (noch immer) in der Organisationsform der Pädagogischen Hochschulen in Form einer „Nachgeordneten Dienststelle“ äußert. Dabei ist klar, dass angesichts steigender Komplexität in den Umwelten von Organisationen es zunehmend weniger Planungssicherheit gibt und damit bürokratische Strukturen weitgehend ungeeignet für die Führung und die Weiterentwicklung einer Expert*innenorganisation wie eine Hochschule sind.
Seit vielen Jahrzehnten beschäftigt sich unter anderem aus diesen Gründen die Managementforschung mit Themen wie „organizational Learning“, „Process Reengineering“, „Wissensmanagement“, oder etwa mit „agilen“ Methoden des Managements. Fast unbemerkt, aber dafür umso kräftiger, kommt es in den letzten Jahrzehnten jenseits von allen „Managementmethoden“ zu einer Art Wiederentdeckung der Organisation als soziales System (Baecker, 2003, S. 101 ff.). Damit ist gemeint, dass sowohl das Netzwerk der Kommunikationen als auch die jeweils individuell adressierten Mitarbeiter*innen ausschlaggebend für die Effizienz und die erbrachten Leistungen der Organisation sind. Hochschulen operieren also als soziales System nicht trivial (Sensu Heinz v. Foerster) im Sinne einer „wenn-dann“ Logik entsprechend der Vorgaben und Aufgaben durch das zuständige Ressort, sondern die Organisation Hochschule muss als ein komplexes gesellschaftlich vernetztes System beschrieben werden. Damit wird vor allem einer Managementphilosophie Rechnung getragen, die sich jenseits von Rationalität dem Thema Motivation der Mitarbeiter*innen und die in der Organisation notwendige Interaktion Aufmerksamkeit schenkt. Denn weniges demotiviert Mitarbeiter*innen stärker als die Verpflichtung auf Rationalität, wie der Soziologe Dirk Baecker argumenteiert (Baecker ebd.)
Die nachgeordnete Dienststelle als Teil eines Hochschulsektors
Ungeachtet der Tatsache, dass die Pädagogischen Hochschulen in Österreich beispielsweise für ihre Weiterentwicklung zunehmende akademische Diversität benötigen werden, hält das zuständige Ministerium aber strikt an der Struktur der nachgeordneten Dienststelle fest. Dies hat insbesondere in den Bereichen Organisation, Personal und Finanzen eingeschränkte Entscheidungsautonomie zur Folge (Oberneder, 2020, S. 122). Die zaghaften Versuche in Form der Erstellung eines Hochschulentwicklungsplans durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Bildung und Forschung bleiben derzeit in der alltäglichen Praxis noch unbemerkt.
Die Hochschulen müssen also auch in Zukunft entsprechend der hierarchischen Regelungsdichte der angeordneten Bürokratie konsequent Folge leisten. Dies bedeutet einen völlig eingeschränkten Grad an Autonomie und Ergebnisverantwortung sowie eine ausgeprägte Kultur der top-down Anweisungen, die sich in einer stark verschriftlichten Kommunikationsform äußert. Im operativen Alltag bedeutet dies, dass beispielsweise Personal nur mit einem hochdifferenzierten Zustimmungsprozess des Bundesministeriums eingestellt werden kann. Gehaltsprognosen erst nach langwierigen Anrechnungsverfahren von Vordienstzeiten abgegeben werden können. Budgetprognosen äußerst schwierig sind, weil die konsequente autonome Verantwortung für ein Globalbudget nicht erteilt wird. Oder aber etwa Kooperationsverträge (auch ohne Geldfluss zwischen den Partner*innen) nicht ohne vorherige Prüfung und Zustimmung durch das Bundesministerium abgeschlossen werden können. Die Liste der Beispiele ließe sich lang fortsetzen.
Dysfunktionale Hierarchie
Fest steht: Angesichts der Volatilität und Komplexität moderner Gesellschaften bröckelt die Hegemonie der Hierarchie in Organisationen. Pädagogische Hochschulen werden definitiv für die Weiterentwicklung eine neue Organisationsform benötigen. Diese wird sich weniger an den Mustern von Befehlen und Anweisungen orientieren, sondern vielmehr an den notwendigen Kooperationen und Interaktionen als zentrale emergente Eigenschaften eines sozialen Systems.
Wenn man eine neue Verantwortung für die Steuerung des gesamten Hochschulsektors der Pädagogischen Hochschulen übernehmen will, dann wird man nicht umhinkommen den Übergang von klassischer Steuerung („Government“) zu moderner politischer Steuerung („Governance“) zu vollziehen. Dann bedarf es wohl auch keiner besonderen Begründung, dass Organisationen wie Pädagogische Hochschulen, vor allem im Bereich der systemischen Intelligenz, einen dringenden Handlungsbedarf haben. Kurz: Verbesserte und intelligente Infra- und Supra- Strukturen, Prozesse, die transparent und nachvollziehbar sind und vor allem eine Organisationsform, die mit einem hohen Grad an Autonomie und „Accountability“ ausgestattet ist. Denn niemand glaubt doch ernsthaft, dass in Zukunft Pädagogische Hochschulen in der Organisationsform als nachgeordnete Dienststelle ihre tertiäre akademische Aufgabe für eine nächste Gesellschaft (Baecker, 2003) übernehmen kann. Den zuständigen politischen Entscheidungsträger*innen müsste ein Eintrag ins Stammbuch erfolgen: Pädagogische Hochschulen sind keine Apparate, keine Schulen, keine Anstalten und auch keine (nicht mehr) Pädagogische Akademien, sondern sie sind komplexe Organisationsdomänen, die auf versuchte Steuerungseingriffe maximal mit einer Irritation reagieren.
Aufstieg und Fall
Das Hochschulsystem hat sich in Österreich in den letzten Jahren zunehmend differenziert entwickelt. Neben den öffentlichen und privaten Universitäten und den Fachhochschulen wurden die Pädagogischen Hochschulen als vierter Hochschulsektor geschaffen.
Unter dem Begriff der „dritten Mission“ wurde in der jüngsten Vergangenheit speziell im Hochschulsektor der Universitäten eine ambitionierte Modernisierungsagenda geführt. Die angestrebten umfassenden Veränderungen wurden durch zahlreiche Überschriften wie „from Goverment to Governance“, „from Teaching to Learning“ oder „from Research to Innovation“ bekundet (Pausits, 2013, S. 42). Etwas oberflächlich zusammengefasst, könnte man von einer Suche nach einer neuen Identität und einer Suche nach einer nachhaltigen strategischen Positionierung der Universitäten in einer modernen Gesellschaft sprechen.
Wie in diesem Beitrag kurz skizziert, waren die Pädagogischen Hochschulen in den letzten Jahren ebenfalls mit einer ambitionierten Weiterentwicklungsagenda konfrontiert. Im Rahmen von Ziel- und Leistungsplänen sprach man von der Möglichkeit der Weiterentwicklung zu einer Pädagogischen Universität, von Internationalisierungsstrategien oder aber etwa von neuen Forschungsschwerpunkten, die auch im Bereich der Fachwissenschaften verankert sein sollen. Selbst intensive Überlegungen, dass Leistungen des Bundesministeriums im Bereich Personal und Organisation (IT) durch dezentrale Serviceeinheiten („shared Service Center“) erbracht werden sollen, wurden angestellt. Nunmehr, nach Vorliegen der Gesetzesnovelle des Hochschulgesetztes 2005 scheint die Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen als nachgeordnete Einrichtung mit Berichtslegung gegenüber dem zuständigen Ministerium für die nächsten Jahre festgeschrieben zu sein.
Zahlreiche Stellungnahmen (Hochschulrat der PH Wien, AQ Austria, Vorsitzende der Hochschulräte der Pädagogischen Hochschulen) äußerten Kritik an der HG Novelle. Sie entspreche in keiner Weise international geltenden Standards einer zukunftsfähigen tertiären Einrichtung. Die fehlende Autonomie wurde als eines der Kernprobleme kritisiert. Insgesamt gebe es eine Regression auf Entwicklungsstufen frühere Pädagogischer Akademien.
Wie auch immer, dieser Text ist ja nicht für Prognosen zuständig, aber dennoch bin ich davon überzeugt, dass in einigen Jahren der Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen das Staunen groß sein wird, wenn man sich daran erinnert, geglaubt zu haben, man könne eine tertiäre Bildungsinstitution in Form einer nachgeordneten Dienststelle führen. Die institutionelle Wende wird nur zu schaffen sein, wenn man einen möglichst differenzierten Zugang der individuellen und institutionellen Autonomie (Loprieno, 2020, S. 37 ff) finden wird.
Literatur und Quellen:
Fuchs, P. (2009). Hierarchien unter Druck – ein Blick auf ihre Funktion und ihren Wandel. In R. Wetzel R., J. Aderhold & J. Rückert-Johnet (Hrsg.), Die Organisation in unruhigen Zeiten. Heidelberg: Carl Auer Verlag.
Baecker, D. (2003). Organisation und Management. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Loprieno, A. (2020). Die entzauberte Universität. Europäische Hochschulen zwischen lokaler Trägerschaft und globaler Wissenschaft. Wien: Passagen Verlag.
Luhmann, N. (1989). Politische Steuerung – eine Diskussion. Politische Vierteljahresschrift, 30, 4-9.
Oberneder, J. (2020). Zum Mythologem der Steuerung von Organisationen. In P. Reinbacher, J., Oberneder & A. Wesenauer (Hrsg.), Warum Komplexität nützlich ist. Wiesbaden: Springer.
Oberneder, J. (2016). Lehrerbildung neu: Erst handeln, dann denken. Userkommentar DerStandard. 10.1.2016.
Pausits, A. (2013). Der neu entdeckte Gesellschaftsauftrag der Universitäten – die dritte Mission als Aufforderung zur Veränderung. Zeitschrift für Hochschulrecht 12, 42-51.
Reinbacher, P. (2014). Kulturen und Spiralen des „Eigentlich“. Hierarchisch gesteuerte Veränderungsprozesse am Beispiel nachgelagerter Dienststellen des österreichischen Bundesministeriums für Bildung. Gruppendynamik und Organisationsberatung, 45, 291 – 304.
Reinbacher, P. (2017). Imitation oder Innovation? In: A. Pausits, R. Aichinger, M. Unger (Hrsg.), Quo Vadis Hochschule? Beiträge zur evidenzbasierte Hochschulentwicklung. Münster: Waxmann.
Willke, H. (2014). Regieren. Politische Steuerung komplexer Gesellschaften. Wiesbaden: Springer.
DerStandard (2017). Zehn Jahre Pädagogische Hochschulen: Liebe auf den zweiten Blick. Abrufbar unter https://www.derstandard.at/story/2000065375041/zehn-jahre-paedagogische-hochschulen-liebe-auf-den-zweiten-blick
Gefällt mir:
Like Wird geladen …