Die Managementrhetorik dieser Tage behandelt die Probleme im Unternehmensalltag nach dem Prinzip der Selbstverantwortung – so als ob die Lösung aller Aufgaben und Herausforderungen in unseren Unternehmen dem Individuum zugeschrieben werden könnte. Es scheint gleichsam zum herben Schicksal geworden zu sein, dass die Mitarbeiter/innen im Unternehmen ihre Selbstverantwortung in die Hand nehmen müssen. Ein tieferer Blick könnte uns Aufschluss über die irrtümlichen Vorannahmen von Unternehmensführung geben.
In Zeiten der Turbulenz und der Unsicherheit suchen ja Mitarbeiter/-innen nach etwas, was Sicherheit und Verantwortung gibt. Sie suchen nach gelebten Werten – gleichsam nach einem „to walk the talk“. Wenn dann im Unternehmensleitbild eine frenetische und bedenkenlose Ansage zum gelebten Prinzip der Selbstverantwortung kommuniziert wird, wird in keiner Weise der Komplexität des Unternehmensalltags entsprochen. Da werden simplifizierte Bilder und Stereotypen festgelegt, die in der Managementszene hoch anschlussfähig sind:
Schulen und Bildungseinrichtungen sprechen in ihren Leitbildern von selbstständigem und eigenver- antwortlichem Lernen der Schülerinnen und Schüler. Ein solches Lernen wird ihnen helfen, auf den weiteren Bildungswegen und im späteren Berufsleben sich selbst Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Banken kommunizieren in ihren Leitbildern, dass die Idee der Selbstverantwortung die Selbstverwaltung ergibt. Und das global agierende Unternehmen fördert durch Kompetenz- und Mittelausstattung die Übernahme von Selbstverantwortung des Einzelnen und der Teams. Gegen all diese Ansagen gibt es keine Einwände. Einzig, die Perspektive der Einfachheit lässt geübte Beob- achter nachdenklich werden. Unternehmen sind immer Systeme organisierter Komplexität. Darin agieren Menschen in Differenz zu ihrer Umwelt.
Nun festzulegen, dass die Selbstverantwortung das Maß aller Dinge sei, ist eine fatale Fehleinschätzung der postmodernen Unternehmenssteuerung. Ja, Mitarbeiter/-innen übernehmen gerne Verantwortung! Sie sind bereit sinnvolle Arbeiten durchzuführen, sie sind motiviert und sie fühlen sich zu einer Tätigkeit hingezogen. Sie fühlen sich verantwortlich für sich selbst. Sie wollen aber auch, dass Verantwortung übernommen wird: Von jenen Führungskräften im Unternehmen, die für die Steuerung zuständig sind! Schon Luhmann hatte erkannt, dass interne Hierarchien die Sicherheit geben, wer welche Entscheidungen treffen darf, wer Verantwortung übernimmt, wie groß die Büros sein müssen oder sein dürfen und wer den CEO zum Abendempfang begleiten darf etc. Organisationsstrukturen, die jene Sicherheit bieten, die für Entscheidungen im Unternehmensalltag notwendig ist. Eine Renaissance der Hierarchie? Auf keinen Fall!
Der Rückgriff auf das „Feld“ des Unternehmensorganigramms lässt uns vielmehr die zentrale Funktion des Managements im Zusammenhang mit (Selbst) Verantwortung erkennen. Manager/innen müssen bestimmte Fähigkeiten im Unternehmen etablieren: Die Bereitschaft zum Handeln, die Fähigkeit in ungewissen Situationen kompetente Entscheidungen zu treffen, die Steuerung und das Lenken von Gruppenprozessen oder die Übernahme – manchmal auch Delegation – von Verantwortung. Wenn wir von einer gelingenden Praxis ausgehen, dann muss das Prinzip der Selbstverantwortung neu gedacht werden: Ein Wechselspiel, ein diffundierender Prozess, zwischen Manager/in und Mitarbeiter/in, zwischen der Übernahme oder aber der Delegation von individueller und kollektiver Verantwortung wird notwendig sein. So könnte aus einem „most wanted“ ein „must have“ der Selbstverantwortung werden.
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